Warum Sie sich jetzt wehren sollten.
Wenn Sie oder ein Angehöriger in der JVA eine Disziplinarmaßnahme erhalten haben – etwa den bekannten „gelben Zettel“ – ist schnelles Handeln gefragt. Denn:
Eine Disziplinarmaßnahme hat schwerwiegende Folgen nicht nur kurzfristig, sondern auch für künftige Lockerungen und die vorzeitige Entlassung.
Wir helfen Ihnen dabei, sich effektiv zu verteidigen.
- Was sind Disziplinarmaßnahmen?
- So läuft ein Disziplinarverfahren ab – und wo die JVA oft Fehler macht
- Unzulässiger Entzug der Arbeit – versteckte Sanktion ohne Rechtsgrundlage
- Rückverlegung aus dem offenen Vollzug – wenn alles auf dem Spiel steht
- Die unterschätzte Gefahr: Langfristige Folgen einer Disziplinarmaßnahme
- Welche Möglichkeiten haben Sie?
- Wie sind die Erfolgsaussichten?
- Wie lange dauert die Überprüfung?
Was sind Disziplinarmaßnahmen?
Disziplinarmaßnahmen sind Sanktionen, die von der JVA bei vermeintlichen Pflichtverstößen verhängt werden ohne richterliche Kontrolle. Nach § 103 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) kann die JVA bei Pflichtverstößen folgende Disziplinarmaßnahmen verhängen:
Nr. | Maßnahme | Dauer / Umfang |
1 | Verweis | Mündliche oder schriftliche Rüge |
2 | Beschränkung oder Entzug von Hausgeld und Einkauf | Bis zu 3 Monate |
3 | Beschränkung oder Entzug von Lesestoff, Hörfunk- und Fernsehempfang | Lesestoff: bis 2 Wochen Hörfunk/TV: bis 3 Monate Alle drei gleichzeitig: max. 2 Wochen |
4 | Beschränkung oder Entzug von Freizeitgegenständen oder Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen | Bis zu 3 Monate |
5 | Getrennte Unterbringung während der Freizeit | Bis zu 4 Wochen |
6 | (weggefallen) | |
7 | Entzug von Arbeit oder Beschäftigung (inkl. Wegfall der Bezüge) | Bis zu 4 Wochen |
8 | Beschränkung des Kontakts zu Personen außerhalb der Anstalt | Nur in dringenden Fällen, bis zu 3 Monate |
9 | Arrest (Einzelunterbringung unter Arrestbedingungen) | Bis zu 4 Wochen (nur bei schwerer oder wiederholter Verfehlung) |
Wichtig:
- Mehrere Maßnahmen dürfen kombiniert werden (§ 103 Abs. 3 StVollzG).
- Die Maßnahmen unter Nr. 3 bis 8 sollen nur verhängt werden, wenn ein sachlicher Zusammenhang zur Verfehlung besteht, außer bei Verbindung mit Arrest (§ 103 Abs. 4 StVollzG).
So läuft ein Disziplinarverfahren ab – und wo die JVA oft Fehler macht
1. Eröffnung des Verfahrens
Der Gefangene wird informiert, dass gegen ihn ein Disziplinarverfahren läuft entweder schriftlich oder mündlich. Im besten Fall erhält er eine kurze Darstellung des Vorwurfs (z. B. „Besitz unerlaubter Gegenstände“ oder „Beleidigung eines Bediensteten“). Diese Mitteilung erfolgt in vielen Fällen pauschal und ohne vollständige Tatsachenschilderung.
Ab diesem Moment besteht das Recht auf Stellungnahme.
2. Ermittlung des Sachverhalts
Die Anstaltsleitung (in der Praxis die von ihr beauftragte Person) ermittelt den Sachverhalt. Sie muss hierbei alle belastenden und entlastenden Umstände des Vorfalls ermitteln. Mögliche Zeugen aus dem Anstaltspersonal oder Mitgefangene können befragt und Beweise (Videoaufnahmen, Gegenstände) gesichert werden.
3. Anhörung des Gefangenen
Die JVA muss dem Betroffenen Gelegenheit geben, sich zu äußern. Diese Anhörung ist gesetzlich vorgeschrieben – wird aber in der Praxis häufig formlos und rein oberflächlich und manchmal gar nicht durchgeführt. Problematisch ist, dass oft:
- keine echte Beweiserhebung stattfindet,
- entlastende Zeugen meist nicht gehört werden,
- und die Anhörung selten dokumentiert wird.
Wer eine Stellungnahme abgibt, sollte sich idealerweise vorher anwaltlich beraten lassen – denn alles, was gesagt oder geschrieben wird, kann gegen den Gefangenen verwendet werden.
4. Entscheidung und Disziplinarkonferenz
Die Entscheidung soll möglichst zeitnah zum Fehlverhalten erfolgen. Der Disziplinarführer entscheidet, ob eine Disziplinarmaßnahme ergriffen wird und welche im Einzelfall angemessen ist. Bei schwerwiegenden Verstößen ergeht die Entscheidung in der Regel in einer Konferenz – oft bestehend aus Bediensteten der Fachdienste und des Vollzugsabteilungsleiters. Der Gefangene ist bei dieser Disziplinarkonferenz nicht anwesend.
Diese Entscheidung wird dem Gefangenen in NRW mündlich mitgeteilt. Die wesentlichen Gründe werden aber schriftlich festgehalten. Der Gefangene hat einen Anspruch darauf, dass ihm eine schriftliche Begründung der Entscheidung ausgehändigt wird (§ 81 Abs. 6 StVollzG). Die Begründung enthält:
- die verhängte Maßnahme,
- die angebliche Begründung,
- und Informationen zur Dauer und zum Beginn der Sanktion.
5. Vollzug und Rechtsschutz
Die Disziplinarmaßnahme wird entweder sofort oder mit kurzer Frist vollzogen. Ab diesem Moment kann – und sollte – ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG) gestellt werden. Bei schwerwiegenden Folgen der Maßnahme kann auch ein Eilantrag sinnvoll sein.
Unser Rat: Reagieren Sie sofort. Die Frist für einen Antrag beträgt nur zwei Wochen. Innerhalb dieser Zeit müssen die Formalitäten einer Mandatsaufnahme erledigt werden, der Sachverhalt zusammengetragen werden und die Antragsschrift entworfen werden.
6. Typische Fehler der JVA
- Formelle Fehler: Keine Anhörung, keine Einbeziehung des medizinischen Dienstes bei in ärztlicher Behandlung befindlichen Gefangenen oder Schwangeren (§ 81 Abs. 4 StVollzG NRW).
- Sachverhalt nicht vollständig ermittelt: Keine entlastenden Zeugen oder Beweise berücksichtigt
- Pauschale, ungenaue Begründung
- Überzogene und unverhältnismäßige Strafe
Wir kennen diese Fehler – und nutzen sie zu Ihrem Vorteil.
Unzulässiger Entzug der Arbeit – versteckte Sanktion ohne Rechtsgrundlage
In vielen Fällen erleben wir, dass Gefangene nach einem vermeintlichen Fehlverhalten plötzlich von ihrer Arbeit „abgelöst“ werden – ohne dass es irgendeinen Bezug zwischen dem Vorfall und der Tätigkeit gibt. Solche Ablösungen erfolgen häufig formlos, ohne Anhörung und ohne nachvollziehbare Begründung. Dabei gilt: Die Zuweisung einer Arbeit ist ein begünstigender Verwaltungsakt – ihr Entzug bedarf einer tragfähigen rechtlichen Grundlage.
Eine Ablösung darf nur erfolgen, wenn:
- der Gefangene für die Arbeit persönlich ungeeignet ist (z. B. Krankheit),
- betriebliche Gründe vorliegen (z. B. der Arbeitsplatz entfällt),
- oder ein konkretes, arbeitsbezogenes Fehlverhalten vorliegt (z. B. Störung des Betriebsfriedens, Arbeitsverweigerung).
Ein allgemeines Fehlverhalten außerhalb des Arbeitsplatzes (etwa eine Beleidigung im Haftraum oder Besitz eines Radios) reicht nicht aus. Die Ablösung darf nicht als verkappte Disziplinarmaßnahme eingesetzt werden.
Das zeigt auch eine Entscheidung des LG Saarbrücken vom 18.03.2014 (IV StVK 1366/13):
Dort wurde ein Gefangener von seiner Arbeit als Hausarbeiter abgelöst, weil ihm ein Bedrohungsvorwurf gemacht wurde – ohne objektive Beweise, ohne Anhörung, ohne belastbare Tatsachen.
Das Gericht entschied: Die Ablösung war rechtswidrig. Die JVA musste den Gefangenen wieder auf seinen Arbeitsplatz einsetzen.
„Besteht nur der Verdacht einer Verfehlung, so muss er seiner Intensität nach ebenso gravierend sein wie in jenen Fällen, in denen die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ihn als Kündigungsgrund genügen lässt.“
Unser Fazit:
Wer ohne nachvollziehbaren Grund von der Arbeit abgelöst wurde, sollte anwaltlich dagegen vorgehen. Wir setzen Ihre Rechte gerichtlich durch. Kontaktieren Sie uns an, bevor Fakten geschaffen werden, die sich später kaum noch korrigieren lassen.
Rückverlegung aus dem offenen Vollzug – wenn alles auf dem Spiel steht
Für viele Inhaftierte ist die Aufnahme in den offenen Vollzug ein entscheidender Schritt in Richtung Wiedereingliederung. Umso dramatischer ist es, wenn die JVA plötzlich erklärt, man sei für den offenen Vollzug nicht mehr geeignet – und der Weg zurück in den geschlossenen Vollzug erfolgt. Häufig reicht dafür schon eine einfache Disziplinarmaßnahme oder ein bloßer Verdacht.
Das Problem: Rückverlegungen erfolgen oft formlos, ohne Beweise, ohne Anhörung und ohne Chance auf Verteidigung. In der Praxis wird die Rückverlegung dann zur verdeckten Strafe obwohl sie rechtlich keine Sanktion, sondern eine Ermessensentscheidung ist.
Wann eine Rückverlegung rechtmäßig ist – und wie Sie sich erfolgreich dagegen wehren können – erfahren Sie in unserem ausführlichen Beitrag:
🔗 Rückverlegung aus dem offenen Vollzug – was tun?
Dort wird ausführlich dargestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Rückverlegung zulässig ist und welche rechtlichen Schritte einzuleiten sind – etwa Eilantrag und Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG) zur Rückkehr in den offenen Vollzug.
Die unterschätzte Gefahr: Langfristige Folgen einer Disziplinarmaßnahme
Eine Disziplinarmaßnahme ist nicht nur ein kleiner Eingriff, der nach zwei Wochen erledigt ist. Sie wirkt lange nach und kann Ihren gesamten Strafvollzug negativ beeinflussen:
Kein „beanstandungsfreies Verhalten“ mehr
Gerichte und JVA-Leitung erwarten im Vollzug beanstandungsfreies Verhalten – also: keine Disziplinarmaßnahmen, keine Konflikte, kein Verstoß gegen Regeln.
Eine Disziplinarmaßnahme zerstört dieses Bild.
Schlechtere Chancen auf Lockerungen
Sie möchten:
- eine Verlegung in den offenen Vollzug,
- Ausgänge,
- Urlaube (Langzeitausgang),
- oder ein freies Beschäftigungsverhältnis oder eine therapeutische Maßnahme außerhalb der Mauern?
Mit einer Disziplinarmaßnahme in der Akte sagen viele JVA-Leitungen: „Nein, dafür ist das Verhalten zu instabil.“
Gefahr für die vorzeitige Entlassung nach Halbstrafe (1/2) oder Zweidrittelstrafe (2/3)
Gerichte prüfen bei Anträgen auf Entlassung zur Halb- oder Zweidrittelstrafe, ob das Verhalten „beanstandungsfrei“ war. Eine einzige Disziplinarmaßnahme – selbst bei einem Bagatelldelikt – kann den Ausschlag geben, dass die Entlassung abgelehnt wird.
Welche Möglichkeiten haben Sie?
Gegen den Erlass einer Disziplinarmaßnahme kann ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG) gestellt werden. In dringenden Fällen auch im Eilverfahren (§ 114 StVollzG)
Wir stellen für Sie den Antrag bei der Strafvollstreckungskammer und vertreten Sie im Verfahren.
Wir prüfen:
- Ob die Maßnahme überhaupt rechtmäßig war
- Ob die JVA den Sachverhalt vollständig ermittelt hat
- Ob die Sanktion verhältnismäßig ist
- Und ob formale Fehler vorliegen (z. B. fehlende Begründung, keine Anhörung)
Wie sind die Erfolgsaussichten?
Viele Mandanten sind überrascht, wie oft die Maßnahmen aufgehoben wurden, nachdem wir tätig wurden.
Erfolg gibt es vor allem, wenn:
- der Sachverhalt nicht geklärt ist,
- die Begründung pauschal oder widersprüchlich ist,
- die Maßnahme überzogen hart ist.
Kurz gesagt: Die Erfolgschancen sind oft besser als man denkt – vor allem mit professioneller Hilfe.
Wie lange dauert die Überprüfung?
- Gerichtliche Verfahren:
- im Eilverfahren: 2–4 Wochen
- im Hauptsacheverfahren: 2–4 Monate
Wir bleiben für Sie dran – bis zum Ergebnis.
Ihr gutes Recht endet nicht an der Gefängnistür.
Wir kämpfen dafür, dass Ihre Stimme gehört wird und nicht einfach untergeht im System. Als erfahrene Kanzlei im Strafvollzug wissen wir, wie die JVA arbeitet – und wo man ansetzen muss.