Die häufigsten Straftatbestände, die zur Untersuchungshaft führen

Ob ein Beschuldigter in Untersuchungshaft gerät, ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Maßgeblich ist vor allem die Höhe der zu erwartenden Strafe bei einer Verurteilung. Hier spielen auch etwaige Vorstrafen eine große Rolle, insbesondere wenn der Beschuldigte bei der Tatbegehung unter Bewährung steht. Andererseits ist auch die Art und Weise der Tatbegehung und der Schaden ausschlaggebend.

Häufige Delikte bei Untersuchungshaft 

Tötungsdelikte

Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) sowie deren Versuch sind sog. Kapitaldelikte und führen allein aufgrund der hohen Straferwartung
(5 – 15 Jahren für Totschlag) bzw. lebenslänglich (Mord) fast unweigerlich zur Untersuchungshaft. 

Körperverletzungsdelikte

Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) und schwere Körperverletzungen (§ 226 StGB) führen oft zu schweren Verletzungen beim Tatopfer. Häufig müssen Verletzungen ärztlich behandelt werden mit teils bleibenden Schäden. Die Justiz führt schwere Tatfolgen auf die Anwendung eines hohen Maßes an krimineller Energie zurück. Die daraus zu erwartende hohe Strafe im nicht mehr bewährungsfähigen Bereich wird häufig zur Begründung der Fluchtgefahr herangezogen.

Raubdelikte

Raub (§ 249 StGB), schwerer Raub (§ 250 StGB) und erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB sowie Geiselnahme (§ 239b StGB) sind aufgrund der Verknüpfung von hohen Gewaltpotenzials und Vermögensschaden ebenfalls häufig zur Anordnung von Untersuchungshaft. Der schwere Raub hat viele Fallkonstellationen, die zu einer erhöhten Mindeststrafe führen, wie zum Beispiel allein durch das Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs (Strafrahmen: 3 – 15 Jahre) oder der Verwendung einer Waffe oder gefährlichen Werkzeugs (Strafrahmen: 5 – 15 Jahre). Im Einzelfall muss es hier also noch nicht einmal zu einem nennenswerten Vermögensschaden oder schweren Tatfolgen beim Opfer gekommen sein.

Drogenkriminalität

Bei Handeltreiben mit Drogen in nicht geringen Mengen wird ebenfalls häufig Untersuchungshaft verhängt. Hier ist maßgeblich, welche Art Drogen (weiche oder harte Drogen) und welche Menge dem Täter vorgeworfen wird (Gramm und Wirkstoffmenge). Des Weiteren ist entscheidend, ob die Drogen aus dem Ausland ein- oder ausgeführt wurden (Strafrahmen 2 – 15 Jahre) und ob der Täter als Teil einer Bande agierte oder bei der Tat eine Waffe oder sonstigen gefährlichen Gegenstand bei sich führte (Strafrahmen 5 – 15 Jahre). Ähnlich wie beim schweren Raub muss die Waffe oder der gefährliche Gegenstand nicht verwendet worden sein, es genügt eine Griffweite. So erhalten auch Beschuldigte eine hohe Haftstrafe, die gefährliche Gegenstände und Waffen nur in der Nähe der Betäubungsmitteln lagern, ohne diese jemals als Waffe einsetzen zu wollen. 

Sexualdelikte

Schwere Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern gehören ebenfalls zu den Delikten, bei denen Untersuchungshaft regelmäßig angeordnet wird. Hier spielt vor allem der Opferschutz eine große Rolle, sowie die Gefahr, dass der Täter weitere Übergriffe begehen könnte. Bei einer einmaligen Vergewaltigung ohne erhebliche Gewaltanwendung verbleibt der Beschuldigte trotz der erhöhten Strafandrohung (2 – 15 Jahre) meistens noch in Freiheit. Anders sieht es beim sexuellen Missbrauch von Kindern aus, wenn der Beschuldigte in Körperöffnungen eingedrungen ist, also bei Oral- und Geschlechtsverkehr. Obwohl die Strafandrohung (2 – 15 Jahre) nicht höher als bei der Vergewaltigung ist, sind die Strafen am Ende regelmäßig höher und führen auch bei Ersttätern in der Regel zu Untersuchungshaft. Die Justiz nimmt hier besonders den Opferschutz in den Blick und ordnet die Untersuchungshaft schon allein deshalb an, damit das Opfer und die Familie des Opfers nach der Strafanzeige eine unmittelbare Reaktion der Justiz sieht. 

Betrug und Wirtschaftsdelikte

Bei gewerbsmäßigen Betrugsserien und andere Wirtschaftsverbrechen wie z.B. Steuerhinterziehung wird häufig Fluchtgefahr angenommen, vor allem wenn hohe Geldsummen involviert sind. Die Täter könnten versuchen, sich dem Strafverfahren zu entziehen, indem sie ins Ausland fliehen oder ihr Vermögen ins Ausland verlagern. Auch ohne hohen Vermögensschaden wird die Fluchtgefahr oft aufgrund der hohen Anzahl an Einzeltaten und der dadurch zum Ausdruck kommenden kriminellen Energie angenommen, insbesondere, wenn die Tat als Mitglied einer Bande unternommen wurde.

Kann man auch bei diesen schweren Straftaten aus der Untersuchungshaft entlassen werden?

Es bestehen Strategien zur Abwendung der Untersuchungshaft, die bei den meisten Deliktstypen angewendet werden können. 

Sicherheitsleistung

In den allermeisten Fällen ist die Untersuchungshaft aufgrund einer angenommenen Fluchtgefahr angeordnet. Das Erbringen einer Kaution bei Gericht verringert das Risiko einer Flucht und führt nicht selten zu Entlassungen aus der U-Haft. Je nach Art des Schadens müssen hier aber hohe Geldsummen bei Gericht eingezahlt werden (mittlerer vierstelliger bis fünfstelliger Bereich).

Deals vor Beginn der Hauptverhandlung

Ein Anruf bei dem Gericht im Vorfeld einer Haftprüfung oder eine förmliche Verständigung mit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kann zu einer Haftentlassung führen. Die Justiz stellt hier aber regelmäßig die Abgabe eines Geständnisses schon vor der Hauptverhandlung als Bedingung voraus. Aufgrund der Verwertbarkeit eines solchen Geständnisses sollte diese Möglichkeit nur in Betracht gezogen werden, wenn das Angebot (die in Aussicht gestellte Strafe) gut ist und andere Verteidigungsalternativen nicht ins Auge gefasst werden. Zudem sollten solche Absprachen immer offen mit dem Mandanten kommuniziert werden und keinesfalls hinter dessen Rücken laufen.

Täter-Opfer-Ausgleich

Eine Kompensation des Schadens kann bei Körperverletzungs- und Sexualdelikten zu einer Verschiebung der Strafrahmen zugunsten des Täters führen und etwaige Mindeststrafen nach unten korrigieren. Dadurch ist es möglich selbst in Fällen, die unter gewöhnlichen Umständen zu einer Haftstrafe führen, in einen bewährungsfähigen Bereich zu bringen. Hier muss der Täter aber auch finanzielle Mittel haben und bereit sein, diese ohne eine Garantie auf den gewünschten Effekt einzusetzen und das Opfer muss die Leistung auch anerkannt. 

Aufklärungshilfe

Bei Drogendelikten (§ 31 BtMG) oder anderen schweren Straftaten (§ 46b StGB) kann die Informationsweitergabe an die Polizei zur Entlassung aus der U-Haft und später zu einer signifikant geringeren Strafe führen. Nachteilig ist aber, dass der Täter nicht nur allgemeines Wissen über die Tat preisgeben muss, sondern er muss andere Tatbeteiligte „verraten“ und dies muss zu einem Ermittlungserfolg führen. Gegen die auf diese Weise ermittelten Beschuldigten muss er gegebenenfalls auch nach Beendigung seines eigenen Verfahrens vor Gericht als Zeuge aussagen. Auch wenn es nur sehr selten tatsächlich zu den oft befürchteten Gefährdungen des „Kronzeugen“ kommt, ist der Preis für eine Kooperation mit der Polizei hoch und mit einigem Aufwand verbunden – er kann aber für das eigene Verfahren durchaus lohnenswert sein.