Verstoß gegen Verteidigungsrechte: Landgericht hebt Haftbefehl auf

In einem aktuellen Beschwerdeverfahren hat das Landgericht einen vom Amtsgericht erlassenen Hauptverhandlungshaftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO aufgehoben. Grund war eine Verletzung grundlegender Verfahrensgarantien – insbesondere der unterbliebenen Akteneinsicht für den Wahlverteidiger sowie der verspäteten Zustellung des Eröffnungsbeschlusses. Das Gericht stellte klar: Der Haftbefehl war unverhältnismäßig.

Ausgangslage: Hauptverhandlung trotz fehlender Akteneinsicht

Dem Beschuldigten war im zugrunde liegenden Strafverfahren wegen Diebstahls und Sachbeschädigung zunächst ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Übernahme des Mandats als Wahlverteidiger beantragten wir mehrfach und rechtzeitig die Akteneinsicht. Diese wurde jedoch bis zum Hauptverhandlungstermin am 27.08.2024 nicht gewährt.

Keine Verteidigung ohne Akteneinsicht – darum beantragten wir eine Aussetzung des Termins. Das Gericht ließ dennoch den Pflichtverteidiger auftreten, versuchte eine polizeiliche Vorführung des Angeklagten und erließ schließlich einen Haftbefehl wegen Nichterscheinens.

Entscheidung des Landgerichts: Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip

Das Landgericht hob den Haftbefehl auf und begründete die Entscheidung gab der Beschwerde von Rechtsanwalt Dennis Schuchna aus folgenden Gründen statt:

  • Keine Akteneinsicht für den Wahlverteidiger trotz frühzeitiger Anträge (vgl. BGH, Beschluss vom 16.10.1984 – 5 StR 643/84)
  • Verspätete Zustellung des Eröffnungsbeschlusses, der dem Angeklagten entgegen §§  215, 217 StPO nicht eine Woche vor der Hauptverhandlung zuging
  • Keine tragfähige Grundlage für eine Durchführung der Hauptverhandlung, weshalb bereits aus diesem Grund keine Vorführung oder Inhaftierung angeordnet werden durfte

Das Gericht betonte: Die Anordnung eines Sitzungshaftbefehls darf nicht dazu dienen, bloßen Ungehorsam zu sanktionieren. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Hauptverhandlung überhaupt rechtmäßig hätte stattfinden können – was hier nicht der Fall war.

Effektiver Rechtsschutz gegen vorschnelle Haftentscheidungen

Die Entscheidung verdeutlicht, dass Haftbefehle nach §  230 Abs.  2 StPO nicht vorschnell erlassen werden dürfen. Selbst wenn ein Angeklagter zum Termin nicht erscheint, ist stets zu prüfen, ob dies tatsächlich unentschuldigt geschieht – und ob die Hauptverhandlung unter rechtsstaatlichen Bedingungen überhaupt hätte durchgeführt werden können.

Insbesondere ist die Akteneinsicht des Verteidigers Grundvoraussetzung für eine effektive Verteidigung. Wird diese verweigert, liegt ein erheblicher Eingriff in das rechtliche Gehör und die Verteidigungsrechte vor.

Die erfolgreiche Beschwerde gegen den Sitzungshaftbefehl zeigt exemplarisch, wie wichtig eine konsequente und rechtsstaatlich fundierte Verteidigung ist – gerade in Situationen, in denen Freiheitsrechte auf dem Spiel stehen.

Download: Beschluss