Es gibt Situationen, in denen Menschen mit Abhängigkeiten straffällig werden. In solchen Fällen kommt der Maßregelvollzug zum Einsatz, der eine spezielle Form der Unterbringung und Behandlung vorsieht. Hat das Gericht eine Unterbringung in eine Entzugsklinik § 64 StGB angeordnet, verbüßt der Verurteilte seine Haft – je nach Höhe der Strafe – ganz oder teilweise in einer Anstalt des Maßregelvollzugs und nicht in einer JVA. Das Konzept des Maßregelvollzugs, die Vor- und Nachteile einer Behandlung im Maßregelvollzug und die Rechtsschutzmöglichkeiten werden in diesem Artikel thematisiert.
Das Konzept des Maßregelvollzugs verstehen
Der Maßregelvollzug soll vorrangig der Sicherheit der Allgemeinheit dienen. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf der Heilbehandlung. Das Therapiekonzept geht von einer stufenweisen Lockerung aus. Zu Beginn wird auf einer Aufnahmestation der gegenwärtige Zustand des Probanden ermittelt. Durch diagnostische Verfahren soll aufgeklärt werden, ob der Proband tatsächlich – wie vom Gericht festgestellt – an einer Suchterkrankung leidet und wie verfestigt diese ist. Im Anschluss an die Diagnostik wird ein individuelles Therapiekonzept entwickelt, gegebenenfalls auch unter Zugabe von Medikamenten.
Dem Probanden wird mit den strengen Regeln der Einrichtung vertraut gemacht. Ihm wird gesagt, wie er sich zu verhalten hat und welche Angebote er wann wahrzunehmen hat. Zu Beginn wird der Proband engmaschig behandelt und kontrolliert. Er befindet sich in der Regel auf einer geschlossenen Station. Ein Mobiltelefon darf er dort nicht besitzen. In den meisten Einrichtungen wird ein Besuch seiner Angehörigen in den ersten Wochen nicht gestattet. Der Proband soll sich vollständig auf das Therapiekonzept einlassen.
Mit zunehmender Dauer und Abstinenzerfolge wird der Proband gelockert. Er darf beispielsweise an zunächst begleiteten Hofgängen teilnehmen, wird gegebenenfalls bereits auf eine teilweise offene Station verlegt. Bewährt er sich weiter, wird er unbegleitete Hofausführungen unternehmen dürfen bis hin zu unbegleiteten Freigängen außerhalb der Einrichtung. Der Besitz eines Mobiltelefons ist ihm erlaubt, die Verwendung aber erst ab einer bestimmten Uhrzeit (nach Therapieende) gestattet. An Wochenenden darf er Zuhause schlafen. Eine Kontrolle findet nur noch eingeschränkt statt.
Bei Regelverstößen oder beim Konsum von Alkohol oder Drogen wird der Proband zurückgestuft. Je nachdem, ob er den Regelverstoß sofort meldet oder er den Verstoß verschweigt und erst durch einen Test auffliegt, ob es sich um einen einmaligen oder um einen Folgeverstoß handelt, muss mit unterschiedlichen Konsequenzen gerechnet werden. Bei gravierenden und mehrfachen Verstößen wird der Proband „für erledigt erklärt“, also seine Ablösung aus dem Maßregelvollzug mit Rückverlegung in die JVA geprüft. Hierüber ist dann in einem gerichtlichen Verfahren zu entscheiden.
Hat der Proband seine Therapie hingegen erfolgreich durchlaufen und stehen auch sonst keine Umstände entgegen, wird der Proband mit einer vorzeitigen Entlassung belohnt. Auch hierzu findet ein gerichtliches Verfahren statt.
Das System des Maßregelvollzugs ist also ein System, in der sich Kontrolle und Freiheit wechselseitig gegenüberstehen, die Freiheit sich durch wohlgefälliges Verhalten schrittweise erarbeitet werden muss und die so gewonnene Freiheit regelmäßig überprüft wird. Hierbei besteht eine starke Abhängigkeit der Probanden zu den Bediensteten des Maßregelvollzugs. Therapeuten erstellen in regelmäßigen Abständen Berichte über die Probanden. Eine gerichtliche Überprüfung findet alle 6 Monate statt (§ 67e Absatz 2 StGB). Sie haben deshalb einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung und den Entlassungstermin der Probanden.
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung gem. § 64 StGB
§ 64 StGB wurde zuletzt am 26.07.2023 mit Wirkung zum 01.10.2023 geändert und wesentlich verschärft. Ziel der Verschärfung war es, weniger Personen Zugang zu einer Therapie nach § 64 StGB zu verschaffen. Der aus Verteidigungsgesichtspunkten wesentliche Anreiz für diese Form der Therapie – eine per Gesetz angeordnete Entlassung nach Verbüßung von Halbstrafe – ist entfallen. Die Verteidigung sollte deshalb mit ihren Mandanten vor der Hauptverhandlung ausführlich erörtern, ob eine Unterbringung gem. § 64 StGB angestrebt oder eher vermieden werden soll.
Damit das Gericht die Unterbringung gem. § 64 StGB anordnet, müssen folgende Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen:
Die (medizinischen) Voraussetzungen werden stets durch einen Sachverständigen geprüft, der an der Hauptverhandlung teilnimmt und sein Gutachten dort mündlich erstattet. Ist ein möglicher Hang des Angeklagten vor dem Beginn der Hauptverhandlung bekannt, wird ein vorbereitendes schriftliches Gutachten gefasst und der Verteidigung zugänglich gemacht. Die Gerichte schließen sich zumeist den Sachverständigen an, auch wenn sie verpflichtet sind, eine eigenständige Prüfung vorzunehmen. Die Anordnung oder Nichtanordnung des § 64 StGB ist bei Vorliegen eines schriftlichen Gutachtens deshalb sehr gut zu prognostizieren.
Der Unterschied zu einer Zurückstellung gem. § 35 BtMG
Eine Unterbringung gem. § 64 StGB unterscheidet sich fundamental von einer Zurückstellung der Strafe zugunsten einer Therapie gem. § 35 BtMG.
Die Unterbringung gem. § 64 StGB erfolgt nur auf Anordnung des Gerichts. Eine Selbsteinweisung in den Maßregelvollzug kann der Verurteilte nicht vornehmen. Die Anordnung durch das Gericht erfolgt stets, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Der Verurteilte hat dann keine Wahlmöglichkeit und kann die Unterbringung im Maßregelvollzug nicht ablehnen. Zur Vermeidung der Unterbringung im Maßregelvollzug kann der Verurteilte aber eine Therapie gem. § 35 BtMG in die Wege leiten. Das muss allerdings von der Justiz bewilligt werden und bedarf regelmäßig anwaltlicher Unterstützung. Eine Therapie gem. § 35 StGB erfolgt hingegen freiwillig und kann jederzeit freiwillig wieder beendet werden. Sie ist dafür nur bei einer Drogenabhängigkeit möglich. Eine Alkoholabhängigkeit kann nicht im Rahmen von § 35 BtMG therapiert werden.
Ein wesentlicher Unterschied ist auch die Therapiedauer. Die Therapie gem. § 35 BtMG wird in einem engen Zeitrahmen von regelmäßig zwischen 4 – 6 Monaten durchgeführt. Eine Verlängerung ist nicht möglich, gegebenenfalls kann der Proband sich auf eigenen Wunsch aber für eine Anschlussbehandlung (bei einer anderen Stelle) bewerben. Eine Unterbringung gem. § 64 StGB gilt zunächst bis zu einer Höchstfrist von 2 Jahren. In Wahrheit ist die Frist aber in vielen Fällen unbestimmt. Die Höchstfrist wird bei einem Vorwegvollzug der Strafe (ein Teil der Strafe muss vor der Verlegung in den Maßregelvollzug in der JVA verbüßt werden) verlängert werden. Das kann dazu führen, dass die Unterbringung im Maßregelvollzug länger dauert als ein Verbüßen der Strafe in der JVA.
Eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung ist bei einer Therapie gem. § 35 BtMG im Anschluss an die Therapie möglich, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht 2/3 der Strafe verbüßt sind (§ 36 Absatz 1 Satz 3 BtMG). Die Bewährungsaussetzung oder Erledigung der Maßregel im Rahmen des § 64 StGB kann jederzeit vorgenommen werden, wird aber in der Regel innerhalb der gesetzlichen Frist von 6 Monaten geprüft (§ 67e Absatz 2 StGB).
Chancen für eine vorzeitige Haftentlassung bietet auch die Unterbringung gem. § 64 StGB. Eine Aussetzung der Reststrafe ist – wie beim normalen Strafvollzug – nach Verbüßung von 1/2 -Strafe oder 2/3 – Strafe möglich. Im Vergleich zu Bewährung im Rahmen des § 35 BtMG kann bei sehr langen Haftstrafen ein deutlich früherer Beginn der Therapie erreicht werden. Die Haftzeit kann sich dadurch insgesamt verkürzen. Um die Vor- und Nachteile einer Therapie gem. § 35 BtMG und § 64 StGB gegenüberzustellen, muss die Dauer des Freiheitsentzugs für jede Strafe einzeln ausgerechnet werden.
Die Rechtsschutzmöglichkeiten im Maßregelvollzug des § 64 StGB
Probleme im Maßregelvollzug können an unterschiedlichen Stellen auftreten. Es ist entscheidend zu wissen, dass auch im Maßregelvollzug klare Rechte und Schutzmaßnahmen gelten. Als Ihr Rechtsanwalt werde ich sicherstellen, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben.
1. Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Maßregeleinrichtung
Jede belastende Maßnahme der Maßregeleinrichtung kann gerichtlich überprüft werden. Das können die Rückstufung innerhalb des Stufenkonzept der Einrichtung sein, die dem Entzug einer Lockerung gleichkommt. Auch die Beschränkung von Besuchsrechten, der Entzug des Mobiltelefons oder sonstige Einschränkungen können angefochten werden. Das richtige Rechtsmittel hierzu ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 109 Strolz. Hierbei ist allerdings Schnelligkeit erforderlich, da der Antrag innerhalb einer Frist von 2 Wochen bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer am Landgericht gestellt werden muss (§ 112 Absatz 1 StrafVollzG). Je nach Eilbedürftigkeit ist parallel zum Antrag in der Hauptsache auch ein vorläufiger Rechtsschutz möglich, wenn dies zielgerichtet beantragt wird. So ist zum Beispiel nicht hinnehmbar, wenn Besuchseinschränkungen für Familienangehörige angeordnet werden. Ich hatte Fälle, in denen „aus Gründen der Gesundheit“ während der Corona-Pandemie ein Besuch der Kinder des Mandanten pauschal untersagt wurde. Wenig überraschend ist diese Praxis für rechtswidrig erklärt worden und die Maßregeleinrichtung musste die Kosten des Verfahrens tragen.
Mandanten sollten nicht gegen jede möglicherweise unzulässige Maßnahme gerichtlich vorgehen. Zu empfehlen ist aber ein selektives Vorgehen gegen besonders belastende Maßnahmen oder eklatant rechtswidrige Maßnahmen, die der Mandant sich nicht bieten lassen sollte. Wenn der Mandant gegen nichts ankämpft, wird sich die Maßregeleinrichtung auch nicht genötigt sehen, irgendetwas an ihrer Praxis zu ändern und zum Nachteil des Mandanten schalten und walten, wie es ihr passt. Wer hingegen gegen jede Kleinigkeit vorgeht, hat schnell den Ruf eines Querulanten und hat keine positiven Berichte mehr zu erwarten. Deshalb ist ein Einschreiten nach Maß, der sog. „goldene Mittelweg“, zu empfehlen.
Entscheidet sich der Mandant (gegebenenfalls nach anwaltlicher Beratung) dafür, gegen eine Maßnahme gerichtlich vorzugehen, ist die Beauftragung eines spezialisierten Verteidigers auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts dringend anzuraten. Zwar besteht kein Anwaltszwang. Es ist jedoch auch schon für fachfremde Juristen schwierig, die vielfältigen Antragsarten auf dem Gebiet des Strafvollzugsrecht zu unterscheiden und in eine Antragsschrift zu gießen. Die Erfolgsaussichten von Anträgen, die von Mandanten kommen, sind unterirdisch schlecht. Wenn man sich zu kämpfen entscheidet, sollte man auch dafür bereit sein, in einen guten Rechtsanwalt zu investieren, der den Kampf austrägt. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ergeht durch einen schriftlichen Beschluss. Deshalb sind Verfahren, in denen der Verteidiger mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beauftragt wird, verhältnismäßig kostengünstig. Auf die Qualität der Schriftsätze kommt es aber an, denn ein mündlicher Termin findet nicht statt.
2. Rechtsschutz gegen Erledigung der Maßregel
Wenn die Therapie nicht zur Zufriedenheit der Maßregelanstalt verläuft, kann die Anstalt bei Gericht die Erledigung der Maßregel beantragen. Für den Probanden bedeutet dies, dass die Therapie gescheitert und er zur Verbüßung der Reststrafe in die JVA verlegt wird. Damit verbunden ist, dass eine vorzeitige Haftentlassung faktisch ausscheidet und der Mandant sog. Endstrafe verbüßt, also die volle Dauer der Strafe.
Gerade deshalb ist eine effektive Verteidigung gegen die Erledigung der Maßregel unbedingt erforderlich und die Beauftragung eines Verteidigers in diesem Bereich zwingend. Das sieht sogar die Rechtsprechung so, indem sie eine Pflichtverteidigerbestellung zulässt und es damit auch wirtschaftlich schwächeren Gefangenen ermöglicht, sich mit einem Rechtsanwalt gegen die Erledigung zu wehren.
Der Verteidiger wird sich mit dem bisherigen und zu erwartenden Maßregelvollzug des Mandanten vertieft auseinandersetzen müssen und die Argumente der Maßregelanstalt verstehen, um Gegenargumente zu finden. Insbesondere müssen Verfehlungen der Therapeuten mit der Folge eines Vertrauensverlustes des Mandanten klar benannt werden. Wer sich in die Defensive begibt wird das Spiel verlieren. Mandanten schätzen es, wenn ich als Verteidiger mit der Gegenseite auf Augenhöhe oder sogar aus einer Position der Überlegenheit argumentiere und streite. Es wird auch dem Gericht dann nicht verborgen bleiben, dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt und eine Erledigung wird bei diesem Gefühl meistens noch als verfrüht angesehen werden. Leistet man hingegen keine Gegenwehr, schließt sich auch das Gericht schnell der Ansicht der Maßregeleinrichtung an. Das Ergebnis ist dann wenig überraschend die Erledigung. Gute Strafverteidigung lohnt also in diesem Bereich.
3. Rechtsschutz für eine Entlassung nach Halb- und 2/3 – Strafe
Vor Erreichen der gesetzlichen Frist für eine Entlassung nach Verbüßung von Halbstrafe oder 2/3 – Strafe stellt sich die Frage, ob ein anwaltlicher Rechtsschutz benötigt wird. Idealerweise besteht bereits eine enge anwaltliche Anbindung, die die Weichenstellung für eine positive Prognose seit geraumer Zeit begleitet und gefördert hat. Detaillierte Informationen zu den Voraussetzungen für eine vorzeitige Haftentlassung und den Dingen, die der Gefangene für eine aktive Verbesserung seiner Prognose tun kann, erhalten sie in meinem Artikel zur vorzeitigen Haftentlassung.
Sollte eine rechtsanwaltliche Anbindung während des Maßregelvollzugs noch nicht bestanden haben und wird der Rechtsanwalt erst für den Anhörungstermin mit dem Ziel einer vorzeitigen Haftentlassung beauftragt, kann er auch „auf den letzten Metern“ noch einiges bewirken. Da wären insbesondere die Vorbereitung und Wahrnehmung des gerichtlichen Anhörungstermins. Hier geht es um Alles oder Nichts. Es gelten die gleichen Erwägungen wie beim Rechtsschutz gegen die Erledigung der Maßregel: Wer sich in die Defensive drängen lässt, verliert. Die Aussichten auf Erfolg sind deutlich höher, wenn der Vollstreckungsverlauf aus der Sicht des Mandanten dem Gericht nachvollziehbar dargestellt wird, wenn auf Schwierigkeiten hingewiesen und der Umgang damit erklärt wird und wenn bei dem einen oder anderen Problem auch das Verhalten der Maßregeleinrichtung und auf die Auswirkungen dessen deutlich hingewiesen wird. So ein Vortrag wirkt authentisch und plausibel, ohne den Mandanten der Gefahr der Uneinsichtigkeit, Arroganz oder des Denunziantentums auszusetzen. Trotzdem schafft man es auf diese Art und Weise, den schwarzen Peter bis zu einem gewissen Grad der Maßregeleinrichtung zuzuspielen. Entscheidend ist aber am Ende, ob es dem Mandanten gelungen ist, in der Zeit des Maßregelvollzugs ausreichend Erfolge für sich zu buchen, oder ob die negativen Aspekte überwiegen. Bei der Darstellung des Sachverhalts kann der Verteidiger aber Wunder bewirken und großen Einfluss auf das Gericht nehmen. Was für das Strafverfahren gilt, ist auch bei der Strafvollstreckung richtig: Eine anwaltliche Vertretung ist in diesem Bereich sehr lohnenswert und kann den Unterschied zwischen vielen weiteren Monaten Haftzeit oder einer Entlassung in Freiheit ausmachen.